Helmstedt in Westdeutschland, kurz vor dem eisernen Vorhang gelegen. So beschrieb man die kleine Kreisstadt vor 1990 - dann kam die Wende. Für viele ältere Menschen ist die ehemalige innerdeutsche Grenze in den Köpfen noch präsent - die A2 scheint bei Helmstedt aufzuhören. Viele orientieren sich immer noch an Braunschweig oder Hannover, doch Magdeburg ist ebenfalls eine sehr schöne und reizende Landeshauptstadt.
Knapp 10 Kilometer entfernt liegt im Land Sachsen-Anhalt das ERA Morsleben. ERAM steht für "Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben". Gorleben oder die Asse sind weiter weg, aber Morsleben direkt vor unserer Haustür. Seit dem 25. April 2017 ist für das ERAM die 2016 gegründete BGE (Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH) zuständig. Gesellschafter der BGE ist die Bundesumweltministerium. Betreut werden neben Morsleben auch das Endlager Konrad und der Schacht Asse II.
Im Mai 1897 wurde der Schacht Marie in Beendorf bis zum August 1898 gebaut. Es wurde eine Tiefe von 370 Metern erreicht. Justus von Liebig entdeckte durch Zufall, dass das Kalisalz idealer Dünger für die Pflanzenwelt ist und so begann ein regelrechter Bergwerkboom. Da das Kalisalz allerdings eher in kleineren Vorkommen vorlag, stellte man die Förderung schnell auf Steinsalz um. 1910-1912 wurde der Schacht Bartensleben (Schacht in Morsleben) gebaut und beide Bergwerke wurden miteinander verbunden. Das verbindende Dammtor existiert noch heute. Im Bedarfsfall sollten beide Gruben (Marie und Bartensleben) voneinander getrennt werden können.
So förderte man das Salz im Schacht Marie bis in die 20er Jahre. Ab 1934 bis 1937 wurde der Schacht Marie an die Luftwaffe der Wehrmacht verpachtet. Es entstanden untertage 152 Kammern für Munition. Ab dem Jahr 1944 wurde im Zentralteil der Schachtanlage Bartensleben die Produktion z. B. für Bauteile der V1-Rakete aufgenommen. Rund 1500 meist weibliche Häftlinge des KZ-Außenlagers Neuengamme wurden zwangsbeschäftigt. Am 10. April 1945 wurde die untertägige Produktionsstätte mit zu der Zeit rund 4000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern beräumt. Dabei kamen mindestens 500 Menschen ums Leben.
Nach dem Krieg wurde das Bergwerk wieder für die Steinsalzgewinnung genutzt. 1958 forderte die SED eine Produktionssteigerung um 700 % für Geflügel, allerdings gab es nicht ausreichend überbauten Platz und wenig Baumaterial zur Erstellung der Produktionsstätten - so entschied man sich neben Gutshöfen auch die Anlage Morsleben/Bartensleben als Geflügelmastbetrieb zu nutzen. Das Kombinat "Industrielle Mast" betrieb die Anlage von 1959 bis 1984 und die dort lebenden Hähnchen hatten einen künstlich verkürzten Tag von 22 Stunden, was ein schnelleres Wachstum zur Folge haben sollte. Der Kilopreis Hähnchen lag bei 8,60 Ostmark.
Ab 1969 wurde die Schachtanlage nach einem Auswahlverfahren in der DDR als Endlager für radioaktive Abfälle ausgewählt. Die Hühner sind aber nicht wie man sich das leicht vorstellen könnte auf den Atomfässern herumgesprungen, sondern waren von den Lagerbereichen weit entfernt. Von 1972 bis 1974 gab es seitens der DDR-Regierung die Bestrebung der friedlichen Nutzung der Kerntechnik. Schwache und mittelradioaktiv verunreinigte Abfälle mussten in der DDR entsorgt und eingelagert werden, stark radioaktive Abfälle wurden in die UdSSR rückgeführt. Im Jahr 1977 wurde die noch heute aktive Turmförderanlage errichtet - vorher kam nur Bergwerkstechnik zum Einsatz. 1985 wurden nur noch chemisch-toxische Abfälle im Schacht zwischengelagert - dies fand bis 1996 statt. Nach der Wende ab 1990 war der Betreiber der Anlage bereits die BRD. Für die BRD war das eine glückliche Fügung, denn bis zur Wende waren fast alle Zwischenlager in Westdeutschland voll.
In Morsleben sind unter anderem Cobalt-60 Strahlenquellen zwischengelagert, welche eine Halbwertszeit von ca. 5 Jahren haben. Das Volumen der zwischengelagerten Abfälle macht ca. 0,001 % aus. Weiterhin gibt es in Morsleben ein Fass, welches Radiumabfälle mit der gefährlichen Alphastrahlung beinhaltet - diese Abfälle zerfallen zu Radon. Radium hat eine Halbwertzeit von bis zu 1600 Jahren. Die BRD lagerte in 4 Jahren 2/3 des in Morsleben befindlichen Abfalls ein. Die DDR ist innerhalb von 20 Jahren nur für 1/3 des Abfalls verantwortlich. Der größte Anteil stammt aus Kraftwerken aus Ost und West. Weiterhin stammen Abfälle aus Medizin, Forschung und Bundeswehr. Die anfallenden kontaminierten Abfälle des Enlagers in Morsleben (z. B. Putzlappen oder Werkzeuge) werden ebenfalls als Eigenabfälle eingelagert.
In Morsleben gibt es die sogenannte Lösungszutrittsstelle "H", in der Salzlösung in das Bergwerk eintritt. Bisher ist noch unbekannt, woher die Lösung komme. Diese kann ihren Ursprung in Oberflächenwasser haben oder aber auch aus unter Tage eingeschlossenem Salzwasser her stammen. In letzterem Fall wäre die Zutrittsquelle endlich. Trotzdem dringt laut der BGE in Morsleben nur soviel Wasser in einem Jahr ein, wie in der Asse an einem Tag. 99% der Wässer in Morsleben stammen aber aus den gemauerten Einfahrtschächten, nicht aus den ehemaligen Abbaugebieten oder Tunneln.
Mittlerweile wurden in Morsleben zur Gefahrenabwehr bereits 27 Abbaue verfüllt - dafür wurden ca. 1 Million Kubikmeter Material benötigt. Den Bau der 22 Abdichtbauwerke, um die Abfälle vom Rest der Grube zu isolieren und Lösungswege verhindern zu können. Ohne diese Bauwerke ist keine Langzeitsicherheit möglich. Nach aktuellen Planungen sollen ca. 75 % der gesamten Grube mit ungefähr 4 Millionen Kubikmetern Salzbeton verfüllt werden, sodass eine gute Stabilität gewährleistet werden kann. Da mit der Zeit Gase entstehen durch die Korrosion von Lagerbehältern entstehen können, müssen Hohlräume für den Verbleib der Gase geschaffen und mit den Einlagerungsstätten verbunden werden. Auch ggf. auftretende Salzlösung kann sich dort sammeln. Zum Schluss sollen die Schächte an die Erdoberfläche ebenfalls verschlossen und verfüllt werden. Dies soll Schätzungen zur Folge ca. 1,2 Milliarden Euro kosten und 15-20 Jahre dauern. Vor dem Beginn der 15-20 Jahre muss allerdings das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen sein. Wie lange dies dauert, ist bisher nicht absehbar. Zum Vergleich: Bis heute hat der Berliner Flughafen den Steuerzahler über 5 Milliarden Euro gekostet - da erscheint Morsleben als ein Schnäppchen.
Vor Ort konnte ich mir Anfang der Woche ein Bild von der Schachtanlage und der Bemühungen der BGE machen. Leiter der Info Morsleben Herr Michael Lohse zeigte begleitet mit einem sehr informativen Vortrag die Infostelle in Morsleben mit den darin befindlichen Exponaten und Infotafeln. Die Infostelle ist übersichtlich in zwei Bereiche eingeteilt - die Vergangenheit der Schachtanlage und die Gegenwart/Zukunft mit sehr vielen plastischen und schematischen Darstellungen. Nach ca. 1 Stunde ging es dann zu Fuß in das ERAM. Ein externer Sicherheitsdienst übernimmt vor Ort die Kontrollen. Wir bekamen Besucherausweise und es wurde eine Eingangskontrolle durchgeführt. Ein staatlicher Lichtbildausweis musste ebenfalls vorgelegt werden. Dann führte uns Herr Reuter durch die Schachtanlage in der ersten und zweiten Sohle. Die radioaktiven Lagerungsstätten sind in der 4. Sohle untergebracht. Wir fuhren mit einem VW Caddy durch die langen und teils dunklen Tunnel, umgeben von Salz und Gestein.
Es gab unter Tage einige Stationen mit Schaubildern, an denen uns Herr Reuter und Herr Lohse die Gegebenheiten erklärten. Unter Tage werden neben Instandhaltungsarbeiten auch Tests durchgeführt. Es befindet sich dort unter anderem ein Test von einem verfüllten Schachtbauwerk, bei dem untersucht wurde wie sich die unterschiedlichen Materialien in der Praxis einbringen lassen und auch verhalten. Eine weitere Station war ein Verschlussbauwerk, welches aus mehreren tausend Kubikmeter Salzbeton erstellt wurde. Dort eingebracht wurden Trennbleche und Messeinrichtungen, die ein absichtliches Eindringen von Salzlösung in das Bauwerk analysieren und messen sollen. Durch Probebohrungen wird festgestellt, wie sich die Einflüsse auf das Bauwerk auswirken.
Im Umfeld der Schachtanlage Morsleben werden in regelmäßigen Abständen Beprobungen von Boden, Pflanzen und Tieren durchgeführt. Auch die Abluft wird beprobt, da es sich hier um einen potenziell zentralen Verbreitungsweg der Radioaktivität handelt. Weiterhin hängen in Bäumen oder auch an Zäunen Dosimeter, die eine Strahlenerhöhung im Umfeld der Anlage aufzeigen sollen. Die BGE betreibt im Bergwerk ebenfalls eine sehr aufwändige Seismik, mit der laut BGE übertrieben jeder kleine Stein, der fällt im Bergwerk gehört und festgestellt werden kann. Man bekommt vor Ort den guten Eindruck, dass das BGE sich seht viel Mühe gibt und auch anständig gearbeitet wird an langfristigen Lösungen und Sicherungsmaßnahmen. Der Müll wird also nicht einfach irgendwo verscharrt und Erde darauf geworfen, sondern er wird anständig und hoffentlich auch langfristig sicher eingelagert. Mit langfristig sind tausende Jahre gemeint.
Fakt ist:
- Zu 100% kann das Endlager nicht abgedichtet werden
- Der Atommüll muss irgendwo entsorgt werden
- Nicht nur wir sind von den Nachwirkungen des Abfalls betroffen, sondern auch unsere Kinder und Enkel
- Unvorhersehbare Ereignisse oder Einwirkungen kann es immer geben, nicht nur im Bergwerk
Morsleben war laut Gesetz das erste Endlager, welches stillgelegt wurde.
Vor Ort habe ich ebenfalls als Besucher einige Foto- und Videoaufnahmen gemacht, aber seht selbst:
https://youtu.be/mnbwaRWZf5w
Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei der BGE und explizit bei Herrn Lohse und Herrn Reuter für die sehr ausführliche Führung und Erklärung der Anlage bedanken. Es kann sich jeder für eine Führung und Befahrung vor Ort anmelden. Die Teilnahme ist kostenlos.
Kontaktmöglichkeiten:
Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH
Info Morsleben
Amalienweg 1
39343 Ingersleben OT Morsleben
Telefon: 039050 - 979931
info-morsleben@bge.de
www.bge.de/morsleben